Forum

10 Beiträge / 0 neu
Letzter Beitrag
Bild des Benutzers winnie
Verbunden: 24. Dezember 2009 - 9:34
Binokulares Sehen durch Prismenbrille und Visualtraining

Vorab als Info in die Runde: Ich schildere das Erlebte aus meiner Sicht als Betroffene und Nichtfachfrau. Sollten Begrifflichkeiten nicht korrekt verwendet worden sein, bitte ich um Verständnis.

Vor 10 Jahren habe ich mich auf die Suche gemacht.

Heute bin ich angekommen.

Ein langer Weg. Es war privat ein Weg gegen alle Zweifel und Widerstände, den ich ganz allein gehen musste.

Wenngleich es einige wunderbare Optiker gab und gibt, die mich auf meinem Weg hierhin jeweils ein Stück weit sehr fachkundig und kompetent begleitet haben und noch begleiten.

Dass sich mein Leben grundlegend verändert hat, liegt auf der Hand. Meine Autonomie, mein berufliches Fortkommen, meine Resilienz.

Wo lasse ich meinen Bericht beginnen?

Es war im Jahr 2009 (s. mein Beitrag in optometrieonline - liebe Moderatoren, ist es möglich, meinen alten Beitrag zu verlinken? Ich habe keinen Zugriff aufs Forenarchiv)

Meine Odyssee von einem Fachmann zum nächsten beginnt, quer durchs ganze Land. Manchmal gönne ich mir eine Auszeit von mehreren Wochen oder Monaten. Dann geht die Suche weiter, denn es ist ein Wettlauf mit der Zeit. Ich kann im Nahbereich fast nichts mehr lesen, das Akkomodieren funktioniert nicht. Einen Nahzusatz vertrage ich nicht, an eine Gleitsichtbrille ist erst gar nicht zu denken. Das Arbeiten wird erst zur Herausforderung, dann zum riesigen Problem.

Ich fühle mich so, als ginge eine Grenze mitten durch meinen Körper hindurch. Als seien die rechte und die linke Körperhälfte nicht wirklich miteinander verbunden. Dieser Eindruck ist wohl dem nicht binokularen Sehen geschuldet.

Die Ärzteschaft stellt von "trockenem Auge" bis hin zu "....irgendein psychisches Problem....???" fast jede Diagnose.

Eigentlich verwunderlich, dass ich noch keins habe Biggrin

 Die Jahre gehen ins Land. Ich denke ernsthaft an Frühberentung.

Ich habe schon fast resigniert und frage zum hundertsten Mal, ob es denn nicht noch irgendjemanden geben könne, den ich noch nicht konsultiert hätte und da nennt meine Optikerin mir eine Adresse.

Drei Monate muss ich auf einen Termin warten. Die Praxis liegt weitab vom Schuss. Eine Tagestour von Köln aus und zurück.

Aber dann: Ich bin überrascht und überwältigt, wie warmherzig und kompetent zugleich ich durchleuchtet werde. Schnelle, sichere, tausendfach geübte Handgriffe. Ein routinierter Checkup. Die Diagnose ist klar. Eine Höhenverschiebung. Und nicht zu knapp. Die niemand vorher entdeckt hat. Ich bekomme eine Prismenbrille mit Höhenkorrektion.

Das ist der Wendepunkt.

Mein Sehen bekommt eine neue Richtung.

Ich erkenne beim Autofahren die Schilder.

Die Kopfschmerzen werden weniger.

Die Anstrengungsschmerzen über dem rechten Auge auch.

 Der Raum, in dem ich mich bewege, ist plötzlich viel 3-dimensionaler, farbiger, lebendiger, unmittelbarer.

Ich werde vom Zuschauer zum Akteur. Ich traue mir mehr zu, in jeder Hinsicht.

Merke plötzlich, was alles vorher schlummernd, verborgen in mir steckte und gelebt werden will.

Die Arbeit geht mir leichter von der Hand. Ich beginne, meine Stunden auf der Arbeit aufzustocken.

Und dennoch: Da fehlt noch etwas vom eben geschilderten entscheidenden Durchbruch bis zum Sehen, wie es sich heute anfühlt. Die Bilder, die meine beiden Augen sehen, liegen zwar übereinander. Aber das richtige Sehen, das leichte, unbeschwerte Sehen, das sich unmittelbar nach jeder neu angepassten Prismenbrille einstellt, hält jeweils nur ein paar Tage lang an. Dann fällt das ganze Konstrukt wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Die Seheindrücke beider Augen sind gleichzeitig wahrnehmbar, aber nicht mehr eins. Ich spüre, dass das verschmelzende Sehen nicht über eine mehrtägige Phase hinaus aufrecht erhalten werden kann.

Können oder wollen meine Augen nicht ? Die Untersuchungen ergeben ganz klar, dass die Voraussetzungen dafür gut sind. Normale Netzhautkorrespondenz.

Habe ich vielleicht aufgrund des alternierenden Sehens infolge der starken Höhenverschiebung über Jahrzehnte diese Fähigkeit verlernt oder gar verloren? Dass da noch ein Überbleibsel ist, ist aber ja offensichtlich. Vielleicht geht da doch noch was?

Zu diesem Zeitpunkt stoße ich auf das Buch von Sue Barry. Fazit: Neurologische Neuverknüpfungen sind möglich auch in fortgeschrittenem Alter. Vielleicht sollte ich es mal zusätzlich mit Visualtraining versuchen?

Und das Unglaubliche wird wahr: Nach der 1. Übungseinheit sehe ich binokular. Weiß ja, wie sich das anfühlt. Ich übe jeden Tag 10 Minuten. Im Training enthalten sind auch kombinierte Seh -und Körperübungen zum Abtrainieren körperlicher Fehlhaltungen, die ich mir zum Ausgleich der Höhenverschiebung angewöhnt hatte (z. B. leichte Kopfschräghaltung).

Nochmalige große Verbesserung der Akkomodation. Ich bin viel ruhiger und strukturierter. Meine Auffassungsgabe profitiert ebenfalls. Ich schlafe besser, kann mich tagsüber besser auf die Arbeit konzentrieren und nachts los lassen. Vor allen Dingen aber: das Leben fühlt sich so viel leichter an...

Ich liebe mein Leben.

Und ich bin angekommen.

Es gibt auch heute natürlich gute und schlechte Seh-Tage. So, wie bei Normalsichtigen auch. Statt wie diese dann aber nur schlechter oder unscharf zu sehen, bemerke ich eine temporäre prismatische Unstimmigkeit/Verschiebung.

Das ist immer dann der Fall, wenn mein Körper in ein Ungleichgewicht gerät. z. B. beim Einnehmen von Antibiotika und einigen anderen Medikamenten, beispielsweise Schmerzmitteln, bei Schlafentzug, bei zu hoch dosierten Nahrungsergänzungen oder wenn ich histaminreich esse (mir fehlt ein Enzym zum Histaminabbau).

Gut, um diese Zusammenhänge zu wissen.

 

P. S.:

 

Und jetzt zum Schluss noch ein Anmerkung zur Auswirkung meines Sehproblems auf  körperlicher Ebene. Ich war ständig im Anstrengungs-/Kompensationsmodus, beschäftigt mit der Unterdrückung oder dem Bemühen um Zusammenfügung von Seheindrücken. Das hatte natürlich Auswirkungen auf das hormonelle Gleichgewicht (Hormone und Neurotransmitter) - die Stresshormone hatten überhand genommen.

Dann die Überraschung: Mit dem besseren Sehen normalisieren sich die Werte langsam wieder – messbar.

Bild des Benutzers Seestern
Verbunden: 2. Januar 2015 - 14:03

Ich freue mich für dich !

Schön , dass  du es hier mitgeteilt hast ! 

Und ich freue mich besonders über den Erfolg deiner Behandler ! yessmiley

Liebe Grüße vom Seestern

Bild des Benutzers winnie
Verbunden: 24. Dezember 2009 - 9:34

Lieber 'Sehstern' -

die richtige prismatische Korrektion war die notwendige Voraussetzung, um zur Lösung zu gelangen

Diese wiederum konnte aber nur gefunden werden in Kombination mit einem genau auf meine Sehdefizite zugeschnittenen Visualtraining.

Das war es, was ich mitteilen wollte.

Bild des Benutzers Eberhard Luckas
Verbunden: 29. September 2002 - 0:00

Moin Winnie,

 

ich habe Deinen alten Thread gesucht, aber leider nichts gefunden.

Viele Grüße

Eberhard

Bild des Benutzers winnie
Verbunden: 24. Dezember 2009 - 9:34

Lieber Eberhard,

danke, lieb von dir.

Ich glaube, meine Geschichte ist aber auch ohne den alten Thread nachvollziehbar....

 

Lieben Gruß in den Norden

Bild des Benutzers Seestern
Verbunden: 2. Januar 2015 - 14:03

Liebe Grüße vom Seestern

Bild des Benutzers winnie
Verbunden: 24. Dezember 2009 - 9:34

@ Seestern: ALLE meine Behandler haben einen Orden verdient.

Jeder war ein Puzzlestein des Ganzen, das sich daraus entwickelt hat.

Gruß von Winnie

Bild des Benutzers winnie
Verbunden: 24. Dezember 2009 - 9:34

Woooow! Danke, lieber Seestern, für deine Detektivarbeit!

Bild des Benutzers Strabi
Verbunden: 22. Oktober 2012 - 15:36

Hallo Winnie,

ich habe eben durch Zufall deine Geschichte gelesen und mich - zumindest vom "Krankheitsbild" - widererkannt. 

Mir geht es seit Jahren so ähnlich, wie es dir vor deiner Behandlung ging. Nach zwei Strabismus-OPs in sehr jungen Jahren und einer weiteren vor fünf Jahren bin ich nun an einem Punkt welchen ich am besten mal kurz beschreibe. Ich kann mit meinen Augen alternieren, wobei mein rechtes Auge mein Führungsauge darstellt. Das linke Auge erweitert zwar mein Sichtfeld aber eine Fokusierung ist mir nicht möglich. Mir kommt es so vor, als wäre meine Naße eine Grenze, welche meine beiden Körperhälften von einander trennt. Die rechte Seite habe ich - gefühlt - deutlich besser in "Benutzung" (die Linke fühlt sich irgendwie fremdlich an). Wenn ich nun mit dem rechten Auge führe stehen meine Augen - dank der letzten OP - nahezu parallel. Sobald ich auf das linke Auge alterniere (entweder bewusst, bei Kopfbewegungen oder Anstrengung), fängt mein rechte Auge an nach oben abzudriften. In meinem Alltag fällt es mir immer schwerer bewusst mein Führungsauge zu halten und das erschöpft schon ziemlich. Auch kommt es vor, dass meine Augen bzw. mein Sehen mich sehr überanstrengt und ich ziemlich fertig bin. In meinem Beruf als Lehrer muss ich quasi sekündlich neue Punkte (Schüler) im Raum fokusieren und nach sechs Stunden bin ich dann ganz schön platt. 

Nun ja warum schreibe ich dir hier meine Geschichte? Zum einem würde es mich interesieren ob du weitere Paralellen zu deinem Fall siehst und zum Anderen würde ich dich gerne um die Adresse des Augenarztes, der den Stein letztlich bei dir ins Rollen gebracht, bitten.

 

Vielen Dank

Strabi

 

Bild des Benutzers winnie
Verbunden: 24. Dezember 2009 - 9:34

Lieber Strabi, ich schicke dir gleich eine pn.

Lieben Gruß

Winnie