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Auswirkungen systemoider Arzneimittel auf das Tränensystem

Arzneimittel, welche direkt oder indirekt das Nervensystem angreifen, können eine Hyposekretion oder - seltener - eine Hypersekretion auslösen. Verschiedene Medikamentengattungen können die Tränenabsonderung beeinträchtigen, die Tränenzusammensetzung beeinflussen oder in der Tränenflüssigkeit ausgeschieden werden, je nach systemoider Verabreichung dieser Medikamente.

Beklagt sich ein Patient über tränende oder trockene Augen, über Augenentzündungen oder über mangelnden Tragekomfort bei Contactlinsen, so besteht der Verdacht auf Beeinträchtigung des Tränensystems durch systemoide Arzneimittel. Diese Medikamente sind sowohl gegen Rezept als auch teilweise rezeptfrei erhältlich.

Systemoide Arzneimittel , die die Tränenproduktion vermindern

Die Tränen führen dem Hornhautepithelium den Sauerstoff zu und scheiden die Schlacken aus. Die Enzymeglobuline der Tränen helfen, die Hornhaut vor schädlichen Organismen zu schützen.

Die Medikamentengruppen, die die eine oder andere Nervenfunktion beeinflussen, haben eine Verminderung der Tränenbildung zur Folge.

Antihistamine (Chlorpheniramin, Diphenhydramin, Pyrilamin, Brompheniramin, Terfenadin)

Diese Substanzen blockieren die Histaminrezeptoren der Gruppen H1 und H2.

Das Histamin selber stimuliert gewisse glatte Muskeln, die sich unter seiner Einwirkung zusammenziehen und gewisse Drüsen wie z. B. diejenigen des Magen- Speichel- oder Tränenapparates. Einige dieser Drüsen und Muskeln werden ebenfalls durch das cholinerge System stimuliert. Es kann vorkommen, dass sich das Histamin und das cholinerge System gleichzeitig auf den gleichen Rezeptoren fixieren. Es verwundert daher nicht, dass sich ein Antihistamin auf denselben Rezeptoren festsetzen kann und dadurch die normale cholinerge Tätigkeit behindert. Deshalb sagt man von der Wirkung der Antihistamine, dass sie diejenige des Atropins (ein Anticholinergika) nachahmt.

Die Wirkstoffe, die die H1-Rezeptoren blockieren, werden gegen Symptome wie Schnupfen, Heufieber und andere Allergien eingesetzt sowie gegen Reisekrankheit und zur Kontrolle der Parkinsonschen Krankheit.

Die Wirkstoffe, die die H2-Rezeptoren blockieren, dienen in der klinischen Anwendung bei Magengeschwüren.

Die Antihistamine der Gruppe H1 agieren bei der Atropinnachahmung auf verschiedenen Ebenen, so können sie z. B. auch Einfluss auf die Zusammensetzung des Tränenfilms haben. Die wässrige Tränenabsonderung und die Schleimbildung (auf Grund einer Veränderung der kalziformen Zellen) verringern sich bei Einnahme von systemoiden Antihistaminen, was eine latente Augentrockenheit verschlimmern kann. Ein Patient mit prekärem Tränenfilm sollte daher keine Antihistamine oder andere, die Benetzbarkeit der Augenoberfläche angreifende, Substanzen einnehmen.

Chlorpheniramin und Diphenhydramin werden oft zur Bekämpfung von Schnupfen und Allergien eingesetzt. Diese Substanzen befreien und trocknen den Nasen-Tränenkanal aus. Die verminderte Tränenbildung bewirkt ein Gefühl von trockenen Augen.

Anticholinergika, (Atropin, Scopolamin)

Atropin und andere anticholinerge Substanzen vermindern wässrige Ausscheidungen (bis zu 50%) und bewirken eine Trockenheit der Schleimhäute wegen ihrer Fähigkeit zur Hemmung der Drüsenabsonderung. Diese Arzneimittel werden oft gegen Magen-Darm-Beschwerden verschrieben. Man begegnet diesen Substanzen auch in krampflösenden Mitteln und in Medikamenten zur Behandlung des Schnupfens sowie motorischer Störungen, wie Spätdyskinesie.

Patienten, die mit solchen Arzneimitteln behandelt werden, haben oft ein Trockenheitsgefühl rund um das Auge und beklagen sich über Brennen, bedingt durch ein Austrocknen der Hornhaut.

Oral verabreichtes Scopolamin kann die Tränenbildung verringrn. Es wird selten in dieser Form angewandt, aber die transdermale Scopolaminpastille zur Bekämpfung der Reisekrankheit ist sehr beliebt. Auch sie kann Augen- und Mundtrockenheit hervorrufen.

Die Antihistamine und Anticholinergika sind aber auch in zahlreichen rezeptfreien Produkten vorhanden, wie z. B. in Sedativa, Husten-, Durchfall- oder abschwellenden Mitteln und verursachen deshalb eine verminderte Tränenabsonderung.

Die Entsprechung des Vitamin A ( Isotretinoin)

Isotretinoin oder Acutan wird bei schwerer Zystenakne mit Ueberproduktion der Talgdrüsen angewandt. Diese Substanz löst das Symptom trockener Augen aus. Das Medikament verringert die Absonderung der Meibomschen Drüsen und erhöht die Viskosität. Die Lipidschicht des Tränenfilms nimmt ab, was eine übermässige Verdunstung nach sich zieht. Der BUT (Zeitdauer bis zum Zerreissen des Tränenfilms) verkürzt sich; die Symptome trockener Augen treten auf und hin und wieder entstehen fluopositive Stellen auf der Hornhaut. Das Isotretinoin steht manchmal auch im Zusammenhang mit einer schweren Blepharoconjunctivitis.

Bei Patienten, die mit Isotretinoine behandelt wurden, konnte dieses Vitaminderivat in den Tränen nachgewiesen werden. Das Vorhandensein des Medikaments in der Tränenflüssigkeit kann das Gleichgewicht des Fettfilmes herabsetzen, wodurch die Bildung trockener Stellen auf der Hornhaut begünstigt wird. Diese Reaktion könnte ihrerseits für die Unverträglichkeit von Contactlinsen und Hornhautreizungen verantwortlich sein.

Betablocker oral (Practolol, Timolol, Propanolol)

Betablocker werden zur Behandlung von erhöhtem Blutdruck, Herzkrankheiten, unregelmässiger Herztätigkeit und Migränen eingesetzt. Sie vermindern die Tränenabsonderung und verstärken die Symptome des trockenen Auges wegen der Sympatikusstimulation der Tränendrüse. Den schlimmsten Fällen begegnet man bei Proctolol. Ein Okular-muko-kutanes-Syndrom kann auftreten, wobei man symptomatische Verletzungen des äusseren Augenabschnittes beobachten kann. Die kalziformen Zellen verschwinden und es bleibt nur eine unzureichende Menge Mukus in den Bereichen des Symblepharon. Ebenso kann eine Verminderung der Lysozome und die Abwesenheit von IgA eintreten. In Anbetracht der schwerwiegenden Nebenwirkungen auf die Augen, wird Practolol nicht mehr zu klinischen Zwecken verwendet.

Trizyklische Antidepressiva (Amitriptyline, Doxepin, Desipramin, Imipramin)

Sie vermindern die Tränenabsonderung und können eine anticholinerge Wirkung haben.

Phenothiazine (Chlorpromazin, Thioridazin)

und Arzneimittel gegen Beklemmungszustände (Diazepam)Diese können eine anticholinerge Wirkung haben.

Harntreibende Mittel (Hydrochlorothiazide)

Sie werden äufig zur Behandlung des Bluthochdruckes angewandt und können die wässrige Grundbildung der Tränen herabsetzen. Es wurde noch nicht belegt, ob es hier einzig um den Vorgang des Wasserverlustes geht.

Orale Empfängnisverhütungsmittel

Gut belegte Forschungsergebnisse zur Theorie, dass orale Empfängnisverhütungsmittel die Tränenmenge reduzieren, sind nicht vorhanden. Nichts beweist die Verringerung der Tränenbildung. Wenn die Unverträglichkeit von Contactlinsen tatsächlich eine sekundäre Erscheinung der Verhütungsmittel ist, dann muss die Etiologie bei anderen Ursachen als bei der Tränenbildung gesucht werden.

Chemo-therapeutische Wirkstoffe (Carmostin, Mitomyzin)

Sie verursachen qualitative and quantitative Veränderungen des Tränenfilms.

Systemoide Anästhetika (salpetrige Oxyde, Enflurand, Halothan)

Sie vermindern die Grundbildung der Tränen.

Systemoide Arzneimittel, die dem Lidschlag schaden

Die Sauerstoffzufuhr wird durch den Tränenpumpmechanismus reguliert. Der Lidschlag fördert die Sauerstoffzufuhr, die Beseitigung der Metabolismusschlacken und steigert die Benetzung der Hornhaut und der Contactlinsen. Arzneimittel, die das zentrale Nervensystem schwächen, vermindern Häufigkeit und Ausmass des Lidschlages (wodurch eine Ptosis entsteht). Die physiologische Folge könnte eine Linsenunverträglichkeit sein.

In diese Arzneimittelgruppe fallen Alkohol, Barbiturate (gegen Schlafstörungen und Epilepsie), Beruhigungsmittel (Diazepam), krampflösende Mittel (Baclofen setzt die Zwinkerreflexe herab), Strassendrogen (Kokain, Marihuana und Heroin) und Piroxicam (eine entzündungshemmende, nicht stereoide Substanz, gegen Arthritis, die ebenfalls die Zwinkerreflexe herabsetzt). Diese Medikamente vermindern die Häufigkeit oder das Ausmass des Lidschlages wegen der Reduktion der Lidspalte und als Folge ergibt sich eine mangelhafte Funktion des Tränenpumpmechanismus.

Systemoide Arzneimittel, die die Tränenbildung fördern

Sympathomimetika oder Adrenergika ( Ephedrin, Epinephrin)

Parasympathomimetika oder Cholinergika (Pilocarpin, Neostigmin, Mecholyl)

Subkutanes Pilocarpin erhöht die Tränenbildung im Normalfall. Neostimin, subkutan oder intramuskulär, vermehrt die Tränenmenge.

Blutdrucksenker (Reserpin, Hydralazin, Diazoxid)

Bei therapeutischer Dosierung können sie eine vermehrte Tränenbildung nach sich ziehen.

Ketamine (allgemeine Betäubung)

Marihuana

Lang anhaltender Marihuanakonsum vermehrt die Tränenabsonderung.

Wirkungen der systemoiden Arzneimittel auf die Tränenzusammensetzung

Atropin

Vermehrt die Proteine und Lysozyme der Tränen. Anderseits vermindert Atropin die Tränenabsonderung, wodurch die Bildung der Proteine und Lysozyme pro Zeiteinheit unverändert bleibt.

Ephedrin

Vermehrt die Lysozymenbildung der Tränen um das Dreifache pro Zeiteinheit.

Timolol und Propanolol

Vermehrt die Lysozyme der Tränen.

Practolol

Vermindert die Lysozymekonzentration, speziell bei Patienten, die unter einem Okular-muko-kutanem-Syndrom leiden.

Arzneimittel, die in den Tränenfilm eindringen

Sulfonamide, Tetrazykline und Rifampin

Können in den Tränen vorkommen.

Erythromyzin

Hohe Ansammlungen konnten in den Tränen nachgewiesen werden, überwiegender als die Serumkonzentration, was eine aktive Beförderung dieses Antibiotikums in der Tränenflüssigkeit voraussetzt, gemäss seiner systemoiden Anwendung.

Aspirin und Isotretinoin

Dringen in die Tränenflüssigkeit ein, je nach Höhe der oralen Dosis.

Rifampin

Es kann vorkommen, dass sich die Tränen nach Einnahme von Rifampin verfärben. Sie werden orangefarben, manchmal rosa oder rot. Dadurch können auch weiche Contactlinsen verfärbt werden.

Barbara Houde, O.D.